Heute vor hundert Jahren wurde mit Hergé einer der einflussreichsten Zeichner und Autoren des europäischen Comic geboren. Seine Abenteuer um Tintin (Tim und Struppi) gehören zu den meistgelesenen Comics überhaupt (und zu den wenigen, die auch in Deutschland bereits früh als "kein Kinderkram" anerkannt wurden). Mit seinem klaren, gleichmäßigen Strich gilt Hergé außerdem als Haupteinfluss der "Ligne Claire", die auch zeitweise als "Style Tintin" bezeichnet wurde.
Georges Remi, wie Hergé mit bürgerlichem Namen hieß, wurde am 22. 5. 1907 in Brüssel geboren. Seine Karriere begann er 1925 bei der katholischen Zeitung "Le XXe Siècle", für die er ab 1928 die Jugendbeilage "Le Petit Vingtième" betreute. Für diese Beilage zeichnete er schließlich "Tintin", dessen erstes Abenteuer "Tim im Lande der Sowjets" ab 1929 erschien, und ab 1930 "Stups und Steppke". Diese Serie blieb aber wie "Jo, Jette und Jocko" (1935) weit hinter dem Erfolg von "Tim" zurück.
Ab 1946, nach einer kriegsbedingten Zwangspause, erschienen Tims Abenteuer in einem eigenen Magazin. Sowohl das "Tintin"-Magazin als auch das 1950 gegründete "Studio Hergé" wurden zu Angelpunkten der Ligne Claire, als deren frühe Aushängeschilder neben Hergé dessen Assistenten E.P. Jacobs, Jaques Martin, Bob de Moor und Roger Leloup gelten. Die Ligne Claire zeichnet sich - neben der titelgebenden Strichführung - durch stark vereinfachte Figuren vor detailgetreuen Hintergründen aus, wodurch die Erzählug vorangetrieben wird und zugleich realistisch "grundiert" wirkt.
Die frühen Tim-Abenteuer sind noch einigermaßen grob erzählt und von Klischeevorstellungen geprägt, die sich aus heutiger Sicht als rassistisch deuten lassen (besonders im zweiten Abenteuer, "Tim im Kongo"). Einiges änderte Hergé später für die Albumausgabe. Überhaupt ist Hergé dafür bekannt, seine Geschichten bei Neuauflagen immer wieder sowohl zeichnerisch als auch inhaltlich überarbeitet zu haben.
Hergé legte zunehmend Wert darauf, seinen Reiseabenteuern detaillierte Recherchen zugrunde zu legen. Auch die politische Situation der jeweils von Tim bereisten Länder ließ er in seine Abenteuer einfließen. Als Wendepunkt gilt hier der fünfte Band "Der blaue Lotos", der einige internationale Proteste provozierte, etwa von der japanischen Regierung. Sein späterer Band "Tim in Tibet" brachte dagegen 2001 die chiesische Regierung auf, als die Hergé-Stiftung, die Hergés Erbe seit seinem Tod 1983 verwaltet, eine politisch verfärbte chinesische Übersetzung verhinderte. 2006 wurde Hergé für diesen Band vom Dalai Lama ausgezeichnet.
Wesentlicher als die politische Dimension ist aber Hergés künstlerischer Einfluss, der sich besonders in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, etwa in den Comics von Tardi, Chaland, Kuipers, oder Shuiten niederschlägt, um nur ein paar zu nennen.
Natürlich gibt es zum Hundertsten einige Gelegenheiten, den Meister zu würdigen: Es gibt Ausstellungen im Centre Pompidou in Paris und im BELvue Museum in Brüssel. Die Belgische Münzprägeanstalt bringt eine Sondermünze heraus. In Rotterdam und Ostende wird das Musical "Der Sonnentempel" aufgeführt (Preview hier).
Unabhängig davon bereiten Steven Spielberg und Peter Jackson zur Zeit eine Neuverfilmung von drei Tintin-Abenteuern vor. Man darf gespannt sein, wie das aussieht...