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PANEL Online, Ausgabe eins, März 2006

Artikel, völlig ohne anstößige Bilder

Pointen des Karikaturenstreits

Von Max Jähling

Manchmal ist es schwer, den Islam zu lieben.

Etwa wenn einige selbsternannte Vertreter dieser ansonsten respektablen Religion zum Bildersturm auf Dänemark aufrufen, weil dort ebenso selbsternannte Wächter der Pressefreiheit zwölf Mohammed-Cartoons veröffentlicht haben. Auf den ersten Blick bestätigen die Ereignisse vom Januar und Februar 2006 alle Klischees, die man von "Finsteren Muslimen" irgendwie parat hat, selbst wenn man diese Einschätzung nicht teilt. (Wie jeder Comicfan weiß: Bilder wiegen schwerer als Bedenken, weil sie unmittelbarer sind. Auch wenn sie lügen und man das weiß.) Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, daß es eine Minderheit ist, die da beim Protestieren über die Stränge schlägt. Moderatere muslimische Organisationen dagegen versuchen, sich mit einer Position, die sowohl die umstrittenen Cartoons als auch die Gewalt verurteilt, Gehör zu verschaffen, aber, wie gesagt: die Bilder sind lauter.

Der liberale Nordeuropäer versucht sich in Geduld und Verständnis und erinnert sich vielleicht sogar an den Aufruhr, den unlängst Haderers "Leben des Christus" im christlichen Griechenland ausgelöst hat oder einige Zeit davor Walter Moers' Weihnachtsgeschichte mit dem Kleinen Arschloch in Deutschland. Intoleranz und Blödheit gibt es überall. Allerdings ist die Protest-Tradition im Westen moderater: hier wird "nur" Zensur gefordert oder werden Bücher verbrannt. (Haderer ist inzwischen mehrfach auf die Parallelen zu seinem Fall angesprochen worden und hat dabei eher die Unterschiede betont. Der Vergleich drängt sich wohl eher dem Außenstehenden auf.)

Die Kurzfassung des Konflikts ist allgemein bekannt. Die konservative dänische Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentlicht zwölf Cartoons, in denen der Prophet Mohammed dargestellt ist. Um zu provozieren bzw. zum Nachdenken über Selbstzensur anzuregen - je nachdem, wen man fragt. Muslime fühlen sich in ihrer Religiosität beleidigt, denn Darstellungen von Propheten sind im Islam tabu. Es gibt Proteste, die weiten sich aus, böse Worte werden gesagt, versöhnliche Worte nicht gehört, und nach vier Monaten brennen Konsulate und der kleine Redakteur, der eigentlich nur anmerken wollte, daß Cartoons ja anscheinend doch etwas erreichen können, reibt sich die Augen.

Diese Geschichte kann nicht stimmen. Von offensichtlichen Ungereimtheiten mal abgesehen (Dänische Zeitungen im arabischen Raum? Und wo kommen plötzlich die ganzen dänischen Flaggen her, die jetzt überall verbrannt werden? Und wieso hat es vier Monate gedauert, bis sich ein angeblich völlig spontaner Protest entzündet?), zeigt sich, daß die Geschichte tatsächlich viel komplexer ist. Was auf den ersten Blick wie ein Konflikt zwischen Pressefreiheit und Religion aussieht, hat mit beiden nicht viel zu tun. Sowohl die Cartoons als auch der Islam scheinen eher Aufhänger in diesem Konflikt zu sein. Das macht die Sache nicht besser, nur jämmerlicher.

Warum es nicht um den Islam geht

Wie sich inzwischen gezeigt hat, ist der massenhafte Protest erst Monate später entfacht worden, durch eine kommentierte (affektiv vorgeheizte) Veröffentlichung in arabischen Medien. Um den Affekt zu verstärken, wurden die Karikaturen durch härtere, offen islamfeindliche Bilder ergänzt, von denen anscheinend niemand weiß, wo sie herkommen. In der Mobilmachung fallen zwei Aspekte völlig unter den Tisch: zum einen, daß die dänische Regierung nicht Urheberin der Jyllands-Posten-Aktion ist. Das Konzept einer unabhängigen Presse würde den Affekt nicht gegen den Westen, sondern gegen Einzelne richten. Macht schon weniger her. Der andere Aspekt ist, daß beim Anstacheln die falschen Cartoons gezeigt wurden. Die Karikaturen der Jyllands-Posten kann deuten, wer will, aber offen islamkritisch im "schlimmen" Sinn sind vielleicht drei davon, ebensoviele ironisieren ebenso offen den Aufruf der Zeitung, mit einem versöhnlichen Augenzwinkern zum Islam hin. Der Rest ist eher banal. Das wirft die Frage auf, ob man ein so zentrales Tabu so banalisieren sollte, ist zur Konstruktion eines Feindbilds aber zu wenig. (Die deutschen Medien spielen dieses Spiel auch mit, freiwillig oder nicht. Kolportiert werden vor allem zwei der Cartoons, nicht weil sie repräsentativ wären, sondern weil sie am ehesten die Vorstellung von "Cartoons, die den Islam aufregen" bestätigen. Ich gebe die jetzt nicht wieder. Der geneigte Leser möge sich irgendeine Tageszeitung schnappen.) Hier soll keine Verschwörungstheorie formuliert werden - ebenso denkbar wie eine gezielte Hetze ist, daß die Nachricht von der medialen Selbstgefälligkeit im fernen Dänemark ein vorhandenes Mißtrauen gegen den Westen bedient, eine affektive Frustration wie in Palästina nach der Wahl, wo vor allem Anhänger der gemäßigteren, aber eben unterlegenen Fatah-Partei protestieren. Eine Information, die auf derart fruchtbaren Boden fällt, wahr oder nicht, wird kaum hinterfragt. Wirf noch ein bißchen Massenhysterie in den Mix, und Du brauchst keine islamistische Hetze.


Warum es auch nicht um die Cartoons geht

Selbst wenn es nur um die Cartoons ginge, rechftertigte das nicht die Ausschreitungen. Denn erstens gibt es das Prinzip der Angemessenheit, und danach wäre die Sache mit der Entschuldigung des Redakteurs und der dänischen Reierung erledigt gewesen. Wer den Frieden will, erkennt eine Entschuldigung an. Wer das nicht tut, will den Frieden nicht, kann aber niemanden anders dafür verantwortlich machen. Zweitens ist das islamische Gesetz für Muslime zwar bindend, aber nicht für dänische Christen. Zwar gebietet der Schutz der Religionen eine gewisse Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle, die ist aber gegen die journalistische Freiheit abzuwägen. Damit soll die dänische Aktion nicht gerechtfertigt werden - die offene Provokation war unnötig, und es läßt sich diskutieren, ob es von journalistischem Wert ist, ein für einige Leute wichtiges Tabu zu brechen, um ein paar noch dazu ziemlich banale Cartoons zu veröffentlichen. Aber halt diskutieren, nicht morddrohen und zündeln.

Unmutsäußerungen von Gläubigen sind durch die fragwürdige Aktion von Jyllands-Posten durchaus gerechtertigt, und zwar aus dem gleichen Grund wie die Veröffentlichung sich rechtfertigen läßt: Die Pressefreiheit soll ja gerade den Dialog zwischen politischen und weltanschaulichen Gegensätzen gewährleisten. Aber auch wenn die ersten Proteste im Oktober von Redaktion und Regierung ignoriert wurden: was seitdem passiert ist, ist durch nichts zu rechtfertigen.

Nehmen wir die Pressefreiheit ernst, dann muß es möglich sein, in Form von Cartoons alles zu kritisieren, auch den Islam. Wenn wir mal die Rassisten ausklammern (Hetze ist durch nichts geschützt, auch nicht durch die Pressefreiheit), muß es doch möglich sein, sich etwa kritisch zu den islamistischen Irrläufern der letzten Jahre zu äußern, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Das ist keine Kritik am Islam, sondern an seinem Mißbrauch durch Fanatiker. Es läßt sich argumentieren, daß es nicht nötig ist, dafür Mohammed abzubilden, und man es deshalb auch nicht tun sollte. Wenn aber ein Cartoonist es doch für nötig hält, kann weder mit der Religionsfreiheit noch mit der Menschenwürde dagegen argumentiert werden. Dann steht Wert gegen Wert, Meinung gegen Meinung, und die Abwägung kann nur offen geführt werden. Alles andere wäre Zensur. Dagegen gibt es auch ein Tabu, das mindestens ebenso wichtig ist, nur würde dafür niemand Botschaften anzünden.

Die Aktion der Jyllands-Posten ist allerdings nicht so einfach zu beurteilen. Immerhin geht es hier nicht um individuelle islamkritische Cartoons, um die persönliche Entscheidung von zwölf Cartoonisten, den Disput in Kauf zu nehmen, im Dienste der Wahrheit, der Freiheit und des künstlerischen Ausdrucks. Es geht um ein par Auftragsarbeiten, die von der Kulturredaktion der Jyllands-Posten lanciert wurden, um ein Argument - aber eben kein Argument der Cartoonisten - zu untermauern. Sollte wirklich nur ausprobiert werden, ob die Pressefreiheit auch da noch hinreicht, wo es wehtut? Oder wollte eine Redaktion, die für ihre konservativen Positionen bekannt ist, nur beweisen, daß Islam und Demokratie nicht zusammenpassen? Letzteres würde an Hetze grenzen und nicht der Informationspflicht der Presse folgen. Das wäre kein Manifest der Pressefreiheit, sondern ihr manipulativer Mißbrauch. Proteste gegen so was wären nicht nur verständlich, sondern zu wünschen.

Warum uns das trotzdem nicht egal sein kann

Diese Geschichte wird wohl nicht so konsequenzenlos bleiben wie besagtes Strohfeuer in Griechenland oder das Verbrennen von Harry-Potter-Büchern in den USA. Abgesehen von den politischen Konflikten zwischen der islamischen und der westlichen Welt, die vorher schon nicht von gegenseitigem Vertrauen geprägt waren, ist auch ein Infragestellen der Pressefreiheit im Westen zu erwarten.

Der Streit fällt in eine Zeit, in der diese Freiheit längst nicht mehr selbstverständlich als unveräußerliches Gut angesehen wird. In den letzten Jahren ist es akzeptabel geworden, sie anzugreifen. Ob es Prominente sind, die sich gegen Berichte über ihr Privatleben wehren, Eltern, die den deutschen Zugang zu wikipedia lahmlegen lassen, weil da in einem (!) Artikel der Name ihres Sohnes erwähnt wird, oder amerikanische Präsidenten, die die Medien ihres Landes "einbetten", um ungestört einen überflüssigen Krieg zu führen - Bisher sind die Angriffe auf die freie Presse im Westen vereinzelte Nadelstiche, individuell betrachtet teils sogar verständliche Akte des Selbstschutzes - alle zusammen sind ein medialer Kollaps. Dabei ist es nicht mal wichtig, ob die Akte im Einzelnen erfolgreich sind oder nicht - allein das gehäufte Infragestellen der Unabhängigkeit der Presse reicht, um die Pressefreiheit als Verhandlungssache, als Luxus zu etablieren. In Folge dessen werden immer weitere Dämpfer gegen die Presse- und Meinungsfreiheit zulässig - eine Entwicklung, unter der weniger die etablierten Medien leiden dürften, sondern vor allem die unabhängigen Medien, allen voran das Internet, das eh unter Beschuß steht, seit es von Nicht-Medienmogulen als Medium entdeckt wurde. Die Zensurdebatte im Netz ist alt - mal geht es um Kinderpornographie, mal um rassistische Progpaganda, die beide die natürlichen Lücken zwischen den Gesetzen in einem internationalen Medium ausnutzen und deren Bekämpfung wir alle befürworten (da nimmt man doch auch gerne eine Kontrolle der eigenen Inhalte in Kauf, oder?). Wiederum Einzelfälle, die verständlich und unterstützenswert erscheinen. (Und harmlos - geht ja nur um Kinderficker und Nazis, die eh niemand im Netz haben will.) Am anderen Ende der Palette steht eine berühmte Suchmaschine, die sich in China bereitwillig den Zensurforderungen der dortigen Regierung beugt. Und eine Zensursoftware, die alles blockiert, was irgendwie Nacktheit enthält, ohne zwischen Pornographie oder einer Abbildung von Michelangelos David zu unterscheiden.

Es sind vor allem die kleinen, unabhängigen Redaktionen, die sich der impliziten Kontrolle nicht entziehen können. Die großen Boulevardbläter scheinen längst anerkannt zu haben, daß sie mit einer sensationellen Falschmeldung mehr Geld verdienen als sie durch die anschließenden Unterlassungsklagen verlieren. Dieser Zynismus ist natürlich auch nicht gerade hilfreich, denn zum einen findet man sich beim Pochen auf die Pressefreiheit plötzlich in ziemlich unsympathischer Gesellschaft, zum anderen liefert gerade die Veröffentlichungspraxis solcher Medien die besten Argumente gegen eine Selbstgefälligkeit der vielzufreien Presse. Auch das hat das Beispiel der Jyllands-Posten gezeigt. Hier für die Meinungsfreiheit einzutreten, bedeutet, ein paar teils ziemlich lausige Cartoons, eine konservative Redaktion mit rassistischen Untertönen und eine Provokation um der Provokation willen, noch dazu auf unsympathischem politischen Terrain zu verteidigen. Kein Wunder, wenn der Protest gegen den Protest teils etwas halbherzig geführt wird.

Manchmal ist es schwer, die Pressefreiheit zu lieben.

Zuletzt geändert am 27. 12. 2006.

PANEL Online, Ausgabe eins, März 2006
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