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PANEL Online, Ausgabe eins, März 2006 Das Geheimnis des billigen KugelschreibersEin Portrait des Cartoonistenduos Rattelschneck.
Marcus Weimer und Olav Westphalen alias Rattelschneck haben den absurden Humor in Deutschland nachhaltig geprägt. In ihren skizzenhaft angelegten Cartoons verlässt der Betrachter die Welt der Logik. Rattelschnecks Zeichnungen erschienen unter anderem in der Titanic, im Kowalski und in den großen deutschen Tageszeitungen wie FAZ, der Süddeutschen und der ZEIT.
Inzwischen wohnt Westphalen in New York und Weimer in Berlin. Die Kommunikation funktioniert über Telefon und Fax. Kennen gelernt haben sie sich an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. Dort war Friedrich Karl Waechter von der Titanic Gastprofessor. Er bot drei Themen an: Tagebuch, Kinderbuch und Humor. In ersteren beiden Gruppen sammelten sich nur Frauen, in der letzteren Gruppe waren nur Männer vertreten. Von anfangs über 300 Interessenten blieben später gerade mal 20 übrig. Unter ihnen Westphalen und Weimer. „Ohne Waechter hätte ich es gar nicht geschafft,“ sagt Marcus Weimer heute, bezeichnet das Seminar sogar als Knochenmühle. „Wie Rattelschneck heute zeichnet, ist nur Waechter zu verdanken. Wir mussten immer alles noch mal und noch mal zeichnen.“ Waechter fand die Skizzen immer besser als die Folgezeichnungen. Immer wusste er, dass die Nase von dieser, die Hand von jener bekannten Comicfigur geklaut war.
Später arbeitete Weimer als Autor für eine Produktionsfirma, die eine Show für Thomas Gottschalk abwickelte. Marcus saß zusammen mit einem zweiten Autor den ganzen Tag in einem kleinen Büro und sollte sich Gags und Dialoge ausdenken. Oft riss der Chef der Firma die Bürotür auf und schrie „Humorprobe!“ Das sollte den Autoren gleichermaßen als Mahnung und Ansporn dienen. Der Druck war groß. Einmal meldete sich sein Kollege mit den Worten ab: „Ich muss mal aufs Klo.“ Das erschien Marcus seltsam. „Der meldete sich sonst nie ab.“ Marcus folgte ihm unauffällig. Schließlich ging der Kollege auf den Betriebsparkplatz, öffnete den Kofferraum seines Wagens und blätterte in einem billigen Witzbuch. Im Büro spielte er dann einen Geistesblitz: „Du, ich hab da eine Idee...“
Heute lebt Marcus Weimer nur von seinen Cartoons. Er ist inzwischen so bekannt, dass er sich um Veröffentlichungen nicht mehr bemühen muss. Die Redaktionen melden sich, wenn sie etwas brauchen. Wenn ein Verlag anruft, weil ein Rattelschneck-Buch geplant ist, zitiert er die Redakteure zu sich nach Haus. Dort verbringen sie den ganzen Tag in seinem mit Skizzenbüchern vollgestopften Gästezimmer. Bei einer solchen Gelegenheit haben zwei Mitarbeiter eines Verlags etwa 65.000 Cartoons gezählt. „Das ist das schlimmste, sich das eigene Zeug angucken zu müssen,“ sagt Marcus Weimer. Er zeichnet wöchentlich einen Skizzenblock (Größe A5) voll. Um zu erfahren, welche der Witzbilder funktionieren, bittet er seinen Freund Max Goldt, das Material durchzusehen. Der markiert dann alles, was er komisch findet, mit einem Kreuzchen.
Manchmal probiert Marcus Weimer neue Cartoons auch an fremden Betrachtern aus. Einmal kam eine Frau nach Ende einer Diashow zu ihm und wollte sich einen Witz vom Anfang der Vorführung erklären lassen. Marcus lacht und wundert sich, dass die Frau sich diesen Cartoon die ganze Veranstaltung hindurch gemerkt hat, um nachher zu erfahren, dass der Witz nicht funktioniert. „Bei anderen sehe ich immer , ob das lustig ist. Bei mir selber nicht.“ Über die Grenzen des guten Geschmacks muss Weimer nicht lange nachdenken. Seiner Meinung nach liegt die Grenze guten Geschmacks im Auge des Betrachters. „ Ich finde ja fast alle Witzezeichner eklig, abstoßend. Ich finde die Zeichnungen vom ästhetischen Standpunkt abstoßend. Im Eulenspiegel sind so grauenhafte Zeichnungen, dass kann ich mir nicht anschauen, da dreht sich mir der Magen um. Nachher muss ich mir erst Saul Steinberg ansehen, zur Erholung.“
Der „New Yorker,“ in dem auch Steinberg veröffentlichte, ist das nächste Ziel von Rattelschneck. Gegenwärtig werden Rattelschneck-Cartoons von Olav Westphalen ins amerikanische übersetzt.
Marcus Weimer hält einen transparenten Kugelschreiber mit schwarzer Kappe in die Luft. Einen von der Sorte, die im Restepostenladen billig erworben werden können. „Dieser Kugelschreiber,“ sagt er eindringlich, „ist das ganze Geheimnis.“
Horst Pohl Rattelschneck im Netz:www.rattelschneck.de Rattelschneck aktuell: Das dicke Rattelschneck-Buch, erschienen bei Rowohlt. Bilder: © Rattelschneck Letzte Aktualisierung: 27.4.2006 |
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