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PANEL Online, Ausgabe eins, März 2006

Squalor

Von Stefan Petrucha, Tom Sutton und Paul Mounts

Stefan Petrucha ist einer dieser Autoren, die immer unter dem Radar fliegen. Wenn überhaupt, dann kennt man ihn in Deutschland als Autor der ersten Akte X-Comics oder diverser Micky-Maus-Geschichten. Über beides ließe sich bereits einiges sagen - Petrucha hat sich für beide Titel durchaus verdient gemacht. Aber darum geht es hier nicht.

Nur so viel: Der Akzent, den er Akte X gegeben hat, verdient besondere Beachtung. Im Vordergrund seiner Geschichten standen nie die "Feature Creature" (was auch immer Mulder und Scully gerade jagten) oder auch nur der Plot, sondern immer die Nebenfiguren mit ihren, sagen wir, unorthodoxen Wahrnehmungsweisen der Wirklichkeit, vermittelt durch einen Mulder, der dem Wahnsinn seiner Mitspieler durch Einfühlung näher zu stehen schien als der Rationalität seiner Partnerin. Scully spielte in diesen ersten Ausgaben auch eher eine Nebenrolle. Petrucha sympathisiert offen mit dem Irrationalismus seiner Figuren. Ein Motiv, das sich durch viele seiner Geschichten zieht und sogar bei Donald Duck wiederfindet.

Am deutlichsten zeigt sich das in zwei Arbeiten, die Akte X zeitlich umrahmen: in seinem selbstveröffentlichten Debut-Roman "Making God" (Between the Lines Productions, 1999), in dem an der Schnittstelle von Wahn und Kapital eine neue Religion entsteht - und in seinem Comicdebut Squalor.

Squalor erschien 1989 bei First Fiction, dessen bekannteste Titel die Howard-Chaykin-Stories "American Flagg!" und "Time²" sein dürften. In Deutschland ist Squalor meines Wissens nie erschienen, und eigentlich ist der Comic auch gar nicht mehr zu kriegen. Ich habe ihn durch Zufall in einer jener Gesegneten Grabbelkisten gefunden, was ich nur erwähne, weil es genauso unwahrscheinlich ist wie alles in dem Comic.

Zeichner-Veteran Tom Sutton (am Bekanntesten vielleicht für die "Planet of the Apes"- Comics mit Doug Moench) und Kolorist Mounts (der auch viele der psychedelischen Hintergründe gerendert hat) spielen in diesem Bericht zugegebenermaßen, wie Dana Scully, eher eine Nebenrolle. Ihnen gelang das Kunststück, eine Bildsprache zu finden, die den überdrehten Erzählfluß nicht bremst, sondern noch erhöht. Besonders die Farben sind so bunt, daß es einfach nicht wahr ist, was vielleicht ein wenig an der Druckqualität liegt (Achtziger, vierfarbig), aber in diesem Fall die Hyperrealität der Geschichte noch unterstreicht. Suttons mal skizzenhaft leere, mal geradezu überfüllte Zeichnungen zwischen fast europäisch anmutendem Independent und irgendwie mutiertem Funny-Stil tun ein Übriges. Die Hauptrolle spielen aber Petruchas Dialoge, die sich zeitweise völlig unabhängig vom Comic zu bewegen scheinen.

Auf die Gefahr hin, der erzählerischen Dichte nicht gerecht zu werden, versuche ich doch eine Zusammenfassung: Der Physiker Harry "Squalor" Keller entdeckt eine Dimension namens "A-Time", in der Zeit räumlich ausgelegt ist, in der er sich bewegen und die Zukunft beeinflussen kann und die bevölkert ist von seltsamen Wesen, die er "Glitches" und "Quirks" nennt. Die Entdeckung führt allerdings nicht zu seinem Durch- sondern zum Zusammenbruch. Zufällig durchkreuzt er in der A-Time einen wahnwitzigen Plan, in dem mehrere Präsidenten, die Domino-Theorie, eine Bananenschale und der dritte Weltkrieg gerade mal Mittel zum Zweck sind. Squalor sieht sich konfrontiert mit Psychopathen, Junkies, CIA-Agenten, einem betont archetypischen Clown und seiner eigenen Psyche, aber wenn die Wirklichkeit nur eine mögliche Deutung von Wahrscheinlichkeiten ist, kann man auch aus Versehen die Welt retten. Über all dem schweben die Obskuren Meister, die aus gutem Grund nicht die Geradeheraus-Meister heißen, und amüsieren sich.

Dieser Comic hat die Welt nicht verändert. Er hatte keine Gelegenheit dazu. Auch wenn das Heft sich gut verkaufte, überdauerte seine Breitenwirkung nicht die Pleite des Verlages. Eine geplante Fortsetzung ging dann auch in der Konkursmasse unter. Vielleicht ist "Squalor" wirklich zu durchgeknallt, um einen wirklich großen Wurf abzugeben, und erst die vergleichsweise normalen Akte-X-Comics enthielten die Dosis, die ein Massenpublikum ohne Nasenbluten lesen konnte. Aber wenn das Lesen erstmal das Hirn entsprechend ausgewuchtet hat, macht es einfach nur Spaß.

Nachtrag: Offenbar gibt es noch mehr Leute, die den Comic nicht vergessen haben, und einige davon sitzen jetzt in Führungspositionen bei Penguin. Es hat zwar 16 Jahre gedauert, aber das ist ja in diesem Fall angemessen, oder mit Harry Kellers Worten: "Haven't you been listening? There is no time!" Anfang 2005 hat Petrucha einen Vertrag mit dem Penguin-Imprint Razorbill über vier A-Time-Romane unterschrieben. Der erste, "Yestermorrow", soll 2006 erscheinen.

Jähling

Squalor

Skript: Stefan Petrucha
Zeichnungen: Tom Sutton
Farben und Hintergründe: Paul Mounts
First Publishing, USA, 1989/90

Stefan Petruchas Webseite

PANEL Online, Ausgabe eins, März 2006
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