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Fremd ist der Fremde...

"Shenzhen" von Guy Delisle

Fast, aber nur fast könnten wir ihn beneiden, den Guy Delisle. Sein Leben als Trickfilmer hat den Kanadier bereits nach Frankreich gebracht und von da wiederholt nach China. Ein Globetrotter also; sein jetzt bei Reprodukt erschienener Bericht von dem mehrmonatigen Aufenthalt in der chinesischen Boomtown Shenzhen beweist, dass das Leben als Zeichner auch Alternativen bietet zum klassischen Versauern hinterm Schreibtisch. Wer würde nicht gerne mit ihm tauschen? Die Chancen auf so einen Tausch stehen gut - Delisle wäre nämlich selber gerne woanders.

"Shenzhen" dokumentiert Delisles zweiten China-Besuch. Wir könnten also einen faszinierenden Bericht erwarten, doch sein erster Eindruck von China weist bereits in eine andere Richtung: "Ich hatte die Gerüche vergessen, den Lärm, die vielen Menschen, die Eintönigkeit. Mir wurde klar, dass nur die schönen Seiten in meinem Gedächtnis geblieben sind..." Delisle ist kein informierter Beobachter. Vielmehr legt er das ganze Buch über Wert darauf, keine Bindung an China aufzubauen, das Fremde nicht an sich (und damit uns) herankommen zu lassen. Zugleich bleibt er uns fremd, denn wer nichts an sich heranlässt, gibt auch nichts preis.

Mit einer Verweigerungshaltung alleine ist kein Buch zu füllen, und so erzählt Delisle von seinen Begegnungen, von der Dolmetscherin, die er erst am Ende richtig kennenlernt, dem Kollegen, der ihn zu Weihnachten einlädt, vom Fernsehen und vom Essen. Und immer wieder von der laxen Arbeitsmoral der Kollegen und der Unzugänglichkeit der Chinesen. (Wobei man sich fragt, ob er diese Eindrücke nicht durch seine westliche Blasiertheit mitverursacht hat...) Zudem erhalten wir Einblick in die Produktionsbedingungen europäischer Zeichentrickserien, die in China billig, aber eben auch nicht sehr motiviert, unter Aufsicht von Fremden wie Delisle produziert werden. Das alles ist interessant und kurzweilig erzählt, so dass das Buch durchaus lesenswert bleibt. Delisle präsentiert die Geschichte in einem groben Independent-Strich, den er im richtigen Moment hervorragend zu variieren weiß. Allerdings erscheinen die Grauschattierungen sehr düster - das mag Absicht sein oder schlechter Druck, in jedem Fall läßt es einige Details "absaufen". Andererseits passt es zum sperrigen Charakter des Bandes.

Ausgangs- und Endpunkt der Geschichte ist die Entscheidung des reisenden Fremden, das Fremde fremd bleiben zu lassen. Am Anfang freut er sich schon auf die Abreise, und am Ende ist er froh abzureisen. Alles, was dazwischen passiert, schlingert - wenn auch gekonnt - um diesen Pol. Das ist bis zuletzt das Problem mit dieser Geschichte: Sie will nirgends hin und kommt deshalb auch nirgends an. Nicht die beste Voraussetzung für einen Reisebericht.

Jäh

Guy Delisle

Shenzen

Reprodukt, 152 Seiten, schwarzweiß, 24,5 x 16 cm, Klappenbroschur, EUR 18,-

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