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PANEL Online, Ausgabe zwei, November 2006
Das "Injury to the Eye"-Motiv
Zum fünfundzwanzigsten Todestag von Fredric Wertham
Fredric Wertham ist für die Comicwelt so ungefähr das, was Daily-Bugle-Herausgeber
J. Jonah Jameson für Spiderman ist. Der ewige Warner, der in seinem Bestreben,
die Welt vor einer bestimmten Gefahr zu bewahren, keine Anstrengung unterlässt und
vor keiner unheiligen Allianz zurückschreckt - ob diese Gefahr nun echt
ist oder nicht. Während Jameson seine Zeitung als Sprachrohr benutzt und
auch mal einen Superbösewicht unterstützt, um Spidey zu besiegen,
kämpfte Wertham an allen medialen Fronten gegen die Bedrohung der Jugend
durch Comics. Damit wurde er zu einer der zentralen Figuren im Kampf gegen die
Crime Comics in den Fünfzigern und ironischerweise zu einem der wichtigsten
Deutschen in der Geschichte der Comics überhaupt. Die Zusammenarbeit mit
konservativen Moralisten brachte ihn in den Ruf, selbst ein puritanischer Jugendfeind
zu sein. Aus heutiger Sicht ist Wertham fast eine mythische Figur. So zeichnet
ihn Scott McCloud in "Reinventing Comics" als dämonisch wirkenden
Geist, der über den Bücherverbrennungen der Fünfziger schwebt.
Ironischerweise ist genau das Gegenteil der Fall, und es war genau seine Progressivität,
die Wertham in dieses Image trieb.
Geistige Herkunft
1895 wurde Frederic I. Wertheimer in Nürnberg (oder München, wie
einige Quellen behaupten) geboren. Im Psychologiestudium bei Emil Kraepelin
lernte Wertheimer den Ansatz kennen, psychologisches Wissen durch Erkenntnisse
auch anderer Disziplinen und durch genaue Fallstudien zu gewinnen. Nach einem
kurzen Aufenthalt in England erschien ihm das intellektuelle Klima in
Deutschland zu kleingeistig, und so emigrierte er 1922 in die USA, deren intellektuelle
Szene weniger provinziell schien. Dort machte sich Wertham, wie er seit 1927
hieß, einen Namen als forensischer Psychologe. Er erstellte psychiatrische
Gutachten sogar für farbige Angeklagte, was in den Dreißigern noch
alles andere als selbstverständlich war.
Werthams Fallstudie "Dark Legend", 1941 als Buch veröffentlicht,
wurde ein Bestseller und wäre fast verfilmt worden, hätte es nicht
von einem Jungen gehandelt, der seine Mutter umbringt - damals ein undenkbares
Tabu im amerikanischen Kino. Später trug seine Tätigkeit als Sachverständiger
dazu bei, dass im Staat Delaware die Rassentrennung in Schulen aufgehoben wurde.
Wertham vertrat als Gutachter und als Autor einen Gewaltbegriff, der auch nach
heutigen Kriterien modern wirkt. Demnach ist Gewalt das Produkt eines allgemeineren
gesellschaftlichen Klimas und auf verschiedenen Ebenen in die Kultur eingebettet.
Später (in dem Buch "A Sign vor Cain") würde Wertham dieses
Geflecht von Einflüssen als "cult of violence" bezeichnen. Die
Stärke dieses Ansatzes liegt in der Erkenntnis, dass Gewalt kein vom gesellschaftlichen
Mainstream abweichendes Verhalten ist - sie ist Teil dieses Mainstreams. Die
straffälligen Jugendlichen, mit denen Wertham arbeitete, trugen nur die
ohnehin vorhandene gesellschaftliche Misere aus. Vor diesem Hintergrund erschien es Wertham unerträglich,
diesen Kindern oder auch ihren Eltern die ganze Verantwortung zuzuschreiben.
Aus dieser Ablehnung der individuellen Schuld folgt als Erklärungskategorie
die Verführbarkeit der Jugendlichen durch die Gesellschaft und die Kultur.
Kunst kann diesen Kreislauf nur druchbrechen, wenn sie über die Gewalt
hinaus weist. Wertham war kein Eskapist, der harmlose Kost bevorzugte. Als Kunstsammler
interessierten ihn vor allem die Sozialisten El Lissitzky und George Grosz.
Den trivialen Comics traute er diesen Sprung allerdings nicht zu.
1946 gründete Wertham im New Yorker Problemstadtteil Harlem die Lafargue
Clinic, benannt nach dem Philosophen Paul Lafargue ("Das Recht auf Faulheit"),
dem Schwiegersohn Karl Marx'. In der Klinik konnten sich Jugendliche für
die eher symbolische Gebühr von 25ct psychiatrisch behandeln lassen. So
kamen auch viele farbige Jugendliche zu einer Therapie, die ihnen sonst verwehrt
gewesen wäre. Außerdem wurden Wertham jugendliche Delinquenten überstellt.
In den Gruppensitzungen dieser Jugendlichen, dem sogenannten "Hookey Club",
war oft von Comics die Rede. Als ihm einige der Hefte vorgelegt wurden, war
Wertham nach eigenen Angaben schockiert angesichts der Gewaltdarstellungen in
den damals beliebten "Crime Comics". Was er hier fand, war genau der
"Kult der Gewalt", den er kritisierte, in seiner gröbsten Form.
Er bemerkte außerdem, dass 90% seiner Patienten diese Comics gelesen hatten.
Ungeachtet der Tatsache, daß auch 90% der nicht-kriminellen Kinder dieselben
Comics lasen, zog er die Verbindung zur Jugendkriminalität und wurde zu
einem der engagiertesten Anti-Comic-Aktivisten der USA.
Gezielt suchte Wertham nach psychischen Defekten, die er auf die Comics zurückführen
konnte, und diagnostizierte etwa die "linear dyslexia", eine Leseschwäche,
die alles betrifft, das als Fließtext geschrieben ist und eine größere
Zeilenbreite hat als Sprechblasen. Dass die Kinder, die er untersuchte, eine
schwache Schulbildung hatten, die ihrerseits zu Schwierigkeiten beim Lesen geführt
haben mag, ignorierte er.
Ein gewissenhafter Wissenschaftler hätte verschiedene Gruppen von Jugendlichen
nach Unterschieden in Kriminalität und Comic-Konsum untersucht. Die Kinder in Werthams Praxis
dagegen waren alle in irgendeiner Weise auffällig geworden, deshalb waren
sie ja in seiner Praxis. Er suchte den Vergleich auch nicht, denn er wußte,
dass damit das Gewicht seiner Argumente ausgehöhlt werden konnte. So fand etwa der Psychologe
Paul Witty 1941 sehr zu seinem eigenen Unbehagen keine Unterschiede in der Intelligenz von comiclesenden
Kindern im Vergleich mit Nicht-Comiclesern.
Solche
Diskrepanzen ignorierte Wertham aber nicht einfach - er sicherte sich gegen
Kritik aus dieser Richtung vielmehr dadurch ab, dass er den Wissenschaftlern,
die den schädlichen Charakter der Comics verkannten, ihrerseits Einseitigkeit
und Ignorieren der Fakten vorwarf. Von Wittys Studie hielt er dementsprechend
wenig.
Diese "Betriebsblindheit" ist typisch für jede Generation des
"Schundkampfes": Sie führt auch heute wieder zu einer allzu einseitigen
Ablehnung beispielsweise der Computerspiele. Die Aufgabe, Jugendliche vor "Schund"-Medien
zu beschützen, wiegt so schwer, und der Zusammenhang zwischen Gewalt in
den Medien und im Alltag erscheint dem besorgten Blick der Erwachsenen zugleich
so plausibel, dass eventuelle Forschungsergebnisse wie durch einen Zerrspiegel
betrachtet werden, der diese Zusammenhänge betont und zugleich andere Erklärungen
unter den Tisch fallen lässt. Je mehr sich Wertham auf die Comics als Ursache
einschoß, desto mehr verlor er das Zusammenwirken gesellschaftlicher Einflüsse
aus den Augen und entwertete die anderen gewaltfördernden Faktoren, deren
Erkenntnis eigentlich die Stärke seines Ansatzes war. Das führte zu
einer Verantwortungsverschiebung weg von der Gesellschaft und hin zum individuellen
Handeln skrupelloser Comicverleger.
Die anderen
Wertham war nicht der erste, der die Comics als Gefahr für Jugendliche
darstellte. In den Vierzigern formierte sich bereits breiter Widerstand nach
dem Vorbild der "Decency Crusades", mit denen Ende des 19. Jahrhunderts
gegen Groschenromane vorgegangen worden war. So wurden etwa Listen mit beanstandeten
Comics ausgeteilt und Händler unter Druck gesetzt, diese Comics nicht mehr
zu verkaufen. Comics galten als unmoralisch und schlecht für die Augen.
Nach dem Krieg verdüsterte sich allgemein die Stimmung in den USA. Der
Kalte Krieg bahnte sich an, und mit ihm eine Zeit der Paranoia vor unbekannten,
unkontrollierbaren Gefahren, die nicht nur die Science-Fiction-Geschichten dieser
Zeit mit ihren außerirdischen Invasionen beeinflussten, sondern auch die
Warnungen davor. Comics und "Pulps" wurden als mögliches Mittel
der Massenhypnose verstanden, mit dem die Kinder zu Feinden ihrer Eltern gemacht
werden konnten - eine Idee, mit der EC-Herausgeber William M. Gaines in seinen
Comics spielte. Gaines verstand nicht nur die Bedürfnisse der
Leserschaft und bot spannende, düstere und dazu gut geschriebene Horror-,
Science-Fiction- und Krimi-Comics (kurz: Thrills).
Er verstand es auch, das Böser-Bube-Image der Comics zu bedienen - gegen
den Mainstream der auf Deeskalation erpichten Comicverleger und sehr zum Vergnügen
der Fans. Zugleich schien die
Jugendkriminalität dramatisch zu steigen. Wobei umstritten ist, ob sie
wirklich anstieg, da es keine verlässlichen Statistiken gab. Sicher ist,
dass die Jugendkriminalität mehr thematisiert wurde als vorher. Wie Forschungen
über Kriminalitätsfurcht belegen, steigt oder fällt diese nicht
mit der Kriminalität, sondern mit der Berichterstattung darüber. Wann
immer doch etwas passierte, hatte das mehr von einer selbsterfüllenden
Prophezeiung als von einem sozialen Problem. Die Gesellschaft fand nach dem
massiven Ausbruch von Gewalt in Europa nur schwer in die Normalität der
amerikanischen Städte zurück, und jede Widerspenstigkeit der Jugendlichen
wurde als potentielle Gefahr empfunden.
Es war erst die Verbindung mit der Jugendkriminalität, die die Anti-Comic-Kampagnen
richtig zum Kochen brachte. Und Wertham war der perfekte Mann am Herd: er war
ein ebenso angesehener wie streitbarer Wissenschaftler, hatte so was wie Forschungsergebnisse,
sprach mit einem Akzent, der sofort an Psychiater denken ließ (was dem amerikanischen Publikum wie ein Wiener Akzent vorkam, dürfte allerdings eher ein Bayerischer gewesen
sein), und er war ein talentierter Populist. Er schrieb Artikel, organisierte
1948 ein Symposium über/gegen Comics, trat im Radio auf und unterhielt
Kontakte zu anderen "Aktiven". Durch Vernetzung erreichten Wertham
und seine Kampfgefährten eine weltweite Streuung ihrer Thesen. Unter anderem
reiste Lafargue-Mitgründerin Hilde Mosse durch die Bundesrepublik, um vor
den Comics zu warnen. Obwohl es die amerikanischen Horrorcomics hierzulande
gar nicht gab, wurden die Warnungen ernstgenommen - und von den, an Comics nicht
gewohnten, Deutschen einfach auf alle Comics bezogen.
Wertham trat nicht
allgemein gegen Comics ein. Er hielt nichts von ihnen, hob aber die Crime Comics
mit ihrer schädlichen Wirkung hervor: "Alle Comics mit ihren Texten
und Ausrufen in Blasen sind schlecht fürs Lesen, aber nicht jeder Comic
ist schlecht für das Denken und Fühlen der Kinder." Unter „Crime
Comics“ verstand Wertham so ziemlich alles, was von Verbrechen handelte.
So wird ihm nachgesagt, auch eine Comicfassung von Macbeth als "just another
crime comic book" abgetan zu haben. Sicher ist, dass sein Urteil auch über
Superheldengeschichten, Liebesschnulzen im Verbrechermilieu und andere Comics
abseits des Krimigenres niederging.
Seduction of the Innocent
Der Kampf um den Comicmarkt wurde auf beiden Seiten mit harten Bandagen geführt.
Wertham war von Anfang an für seine Thesen nicht nur inhaltlich kritisiert,
sondern auch persönlich angegriffen und diffamiert sowie von Detektiven
ausspioniert worden. (Das klingt aus heutiger Sicht ziemlich düster, war
aber damals nicht unüblich.) Zum Teil geht Werthams schlechtes Image als
Zensurbefürworter auf negative Image-Kampagnen der Industrie zurück.
Auf der anderen Seite beschuldigte Wertham Psychologen, die seine Thesen widerlegten,
von der Comic-Industrie bezahlt worden zu sein, was weder wider- noch belegt
werden konnte.
Nicht zuletzt dank Werthams Engagement befaßte sich 1949 auch der US-Senat
zum ersten Mal mit den Comics, allerdings ohne Ergebnis. Die Industrie reagierte
auf diesen Druck mit mehreren kurzlebigen Versuchen der Selbstregulierung, was
vielen der Kritiker, allen voran Wertham, nicht reichte. Als die Kampagnen an
Schwung verloren, verfaßte Wertham sein heute bekanntestes, in vieler Hinsicht aber auch schlechtestes Buch: "Seduction of the Innocent" wurde zu Recht als unwissenschaftlich,
voreingenommen und einseitig kritisiert. Es ist kein wissenschaftliches Buch
und soll auch keins sein. Es ist eine Kampfschrift.
"Seduction..." ist wahrscheinlich eins der bekanntesten und meistbesprochenen
Bücher, die niemand gelesen hat. Die öffentliche Wirkung überwog
und überlebte bei Weitem die Auflagenstärke. In Deutschland sind mir
bei einer Recherche im Jahr 2002 ganze zwei öffentlich zugängliche
Exemplare untergekommen, eins davon eine Fotokopie. Aufgrund dieses Engpasses
sind viele Mythen über den Inhalt des Buches entstanden, die auf Hörensagen
beruhen und eher die reißerischen Thesen verstärken. Bekannt sind
etwa die fantasievollen Deutungen zu beliebten Comicserien. Mit seiner psychoanalytischen
Bildung war Wertham prädestiniert für diesen Job: Er fand die pädophilen
Momente in Batmans Verhältnis zu Robin, die Bondage-Fantasie hinter Wonder
Woman mit ihrem Lasso und den faschistoiden Charakter von Superman. Tatsächlich ist Wertham einer der
wenigen Anti-Comics-Aktivisten, die mehr als ein paar Comics
gelesen haben. Ob er die Bildsprache richtig zu deuten wußte, geht aus
seinen Beschreibungen jedoch nicht hervor: er bevorzugt die im wörtlichen
Sinne graphischeren Beschreibungen von Einzelbildern.
Der wesentliche Teil des Buches sind die Fallbeschreibungen aus Werthams Praxis
mit jugendlichen Delinquenten. Sie nehmen den meisten Raum ein, geben dem Buch
eine anekdotische Struktur und wirken, als konkrete Fälle, besonders plausibel.
Die Jugendlichen kamen von selber und Wertham zufolge ohne sein Zutun immer
wieder selber auf die Crime Comics zu sprechen, wenn sie auch nie direkt die Comics
für ihre Straftaten verantwortlich machten. Wertham betont, dass
er nicht selber das Gespräch auf die Comics bringen musste. Das überrascht
nicht - es war allgemein bekannt, dass er ein Auge auf Comics geworfen hatte,
er musste die Kinder nicht daran erinnern. Zudem kann angenommen werden, dass
sie in dieser Hinsicht zumindest unterschwellig durch ihren Therapeuten geprägt
waren.
Die Wirkung der Fallbeispiele wird noch dadurch verstärkt, dass Wertham
völlig auf Gegenbeispiele verzichtet. Diese Einseitigkeit zieht sich durch
das ganze Buch. So stellt er einen Unterschied zwischen der "natürlichen
Wildheit" der Kinder in den frühen Dreißigern und der Brutalität
der Kinder zum Ende der Vierziger fest, was er auf das Aufkommen der Crime Comics
in dieser Zeit zurückführt - nicht etwa auf den Gewaltausbruch des
zweiten Weltkriegs, der in der Zwischenzeit stattgefunden hatte.
Trotz der viel kritisierten Mängel (oder gerade deswegen?) wurden das
Buch und sein Autor zu zentralen Faktoren bei der Einrichtung von Senatsanhörungen
zum Problem der Comics. Werthams Hoffnung, daß die Anhörungen zu
einem generellen Jugendverbot für Comics führen würden, wurde
jedoch enttäuscht. Senator Kefauver, der die Anhörungen leitete, entschied
sich in der Abwägung zwischen Jugendschutz und Pressefreiheit für
letztere, empfahl den Verlagen aber eine freiwillige Selbstbeschränkung.
Die Verlage standen nun so unter Druck, daß sie das Selbstkontrollgremium
Comics Code Authority (CCA) gründeten und einen Kodex nach dem Modell des
Hays Code verfaßten, der seit den Dreißigern für Filme galt.
Comics, die nicht das "Seal of Approval" der CCA trugen, durften über
den Zeitschriftenhandel nicht ausgeliefert werden - damals, als es noch keine
Comicgeschäfte gab, ein Todesurteil.
Der Comics Code verlangte nicht nur, dass Kriminalität in keinster Weise
als nachahmenswert dargestellt werden sollte. Auch z.B. Ehescheidung durfte
nicht als positiv präsentiert werden. Die Verlage wollten sich gleich nach
allen Seiten absichern. In spezifischeren Regeln durften Worte wie "Horror",
"Terror" und "Crime" nicht mehr den Titel bestimmen - was
später als direkter Angriff auf den auch bei Verlegerkollegen unbeliebten
Gaines mit seinen Titeln wie "Crypt of Terror" und "Crime Suspenstories"
gedeutet wurde. Gaines versuchte zunächst, erst unabhängig von der
CCA, später mit deren Siegel, neue, harmlose Comics zu veröffentlichen,
zog sich nach anfänglichen Misserfolgen aber ganz aus dem Comicgeschäft
zurück und konzentrierte sich auf den weniger restriktiven Magazinmarkt
und das Satiremagazin MAD.
Überhaupt schien der Code einigen Verlegern besser zu bekommen als anderen.
Die „Archie“-Comics des Verlegers und Code-Mitverfassers Barry Goldwater
etwa sollen vorher nur geringen Erfolg gehabt haben, boomten aber danach, und auch die Superhelden galten vor der Einführung des Codes als so gut wie tot. Goldwater
wird auch nachgesagt, die Produktion von „Seduction of the Innocent“
mitfinanziert zu haben - aber das mag auch ein böses Gerücht sein.
Der Comics Code besiegelt das Ende des "Golden Age" der Comics. (Es gibt verschiedene Auffassungen davon, wann das "Golden Age" wirklich endete, aber alle sind sich einig, dass es spätestens jetzt wirklich vorbei war.) Die
Geschichten wurden spürbar seichter und teilweise geradezu reaktionär.
Es war z.B. erst nach Einführung des Codes, dass Wonder Woman von der feministischen
Ikone zum All-American Girl wurde, das für Jungs schwärmte, statt
ihnen Moralpredigten zu halten.
Wertham weiter
Um Wertham wurde es ruhig. Sein Beitrag war nicht mehr gefragt, denn mit dem
Comics Code schienen die von ihm beschworenen Probleme gebannt. Der Schundkampf
funktioniert in vieler Hinsicht wie ein Ritual: Ein Großes Böses
wird beschworen (das war Werthams Beitrag) und durch symbolische Handlungen
gebannt (wie dem Comics Code). Das alles findet auf rein symbolischer Ebene
statt, das Böse muss dazu weder existieren noch sinnvoll bekämpft
werden. Hinterher sind alle beruhigt.
Für Wertham war
die Sache aber nicht erledigt. In seinem 1966 erschienenen Buch "A Sign
for Cain" geht er zwar nur noch in einem Kapitel auf die Massenmedien ein,
aber auch hier betont er die Comics als besonders niedere Form der Beeinflussung
von Jugendlichen. In einem späten Interview (1974) erkennt er zwar an,
dass Comics nicht mehr die eigentliche Gefahr sind - die sieht er nun in Filmen
-, hält aber an seinen früheren Thesen fest: "Ja, Comics sind
heute anerkannter, und ich glaube nicht, dass das ein gutes Zeichen für
den kulturellen Zustand unserer Gesellschaft ist. Es wäre besser, wenn
die Leute Bücher oder Zeitungen lesen würden."
1973 erschien dann ein Buch, das die Comicfans überraschte: "The
World of Fanzines" beschreibt ein damals neuartiges Phänomen. Wertham
lobt den unabhängigen Geist der Fanzines, auch gerade in bezug auf die
große Freizügigkeit dieser völlig am Markt und seinen Tabus
vorbei produzierten Hefte. Auch Comic-Fanzines finden Erwähnung. Mit einiger
Selbstironie beschreibt Wertham, wie er selber in diesen Heften dargestellt wird
und lobt auch hier die Frechheit der Herausgeber. Kein Wort von der Vernichtungskraft
der Comics. Für einige Comicfans, die im Schatten seiner früheren
Aktivitäten aufgewachsen waren, schien dies eine überraschende Kehrtwendung zu sein,
nicht aber für Wertham. Was ihn gegen Comics aufgebracht hatte, war trotz
seiner Vorbehalte gegen die Form nie das Medium selber gewesen - es war der
Umstand, dass viele Hefte sich an Kinder richteten. Fanzines dagegen richteten
sich an Erwachsene, und hier war Wertham immer ein engagierter Befürworter der Presse- und Meinungsfreiheit
gewesen, wie kontrovers die betreffenden Meinungen und Presseerzeugnisse auch sein mochten. Fanzines
waren für ihn ein Medium der Kommunikation, und Kommunikation war das Gegenteil
von Gewalt. Dass dieses dünne Buch so überraschen konnte, zeigt, wie
wenig es Wertham gelungen war, seine Gedanken über Gewalt und Comics wirklich
zu vermitteln.
Im November 1981 starb Wertham. Das von ihm selber mitverursachte Missverständnis, das ihn in eine Liga mit konservativen Kulturfeinden
steckt, überlebt ihn bis heute.
Jähling
Literaturtipps
Julian Darius: "The End of Seduction, a Tragedy in Five Acts", in: Sequart, Oktober 2005
John A. Lent (Hg.): Pulp Demons. International Dimensions of the Post-War Anti-Comics Campaign, Cranbury: Associated University Presses, 1999
Kaspar Maase: "Der Schundkampf-Ritus", in: Rolf W. Brednich/Walter
Hartinger (Hg.:) Gewalt in der Kultur, Passau 1994, S. 511 - 524
Amy Kiste Nyberg: Seal of Approval. The History of the Comics Code, Jackson:
University Press of Mississippi, 1998
Christian Vähling: "Bildidiotismus und Jugendnot: Wie deutsche Pädagogen
Kinderseelen retteten", in: Burkhard Ihme (Hg.): Comic! Jahrbuch 2004,
Stuttgart: ICOM, 2003
Fredric Wertham: "The Psychopathology of Comic Books - a Symposium,"
American Journal of Psychology, 1948, 472 - 490.
Fredric Wertham: Seduction of the Innocent, New York/Toronto: Rinehart &
Company, 1954
Fredric Wertham: A Sign for Cain. An Exploration of Human Violence, London:
Robert Hale Ltd., 1966
Fredric Wertham: The World of Fanzines: A Special Form of Communication. Carbondale:
Southern Illinois University Press, 1973
Bildquellen (von oben nach unten): Scott McCloud (Harper Perennial), F. Wertham (2x), Al Feldstein (EC), Johnny Craig (EC), Rhinehart & Company (2x), Comic Code Authority, Robert Hale Ltd, Clifford Neal.
Zuletzt aktualisiert: 19. 12. 2006
PANEL Online, Ausgabe zwei, November 2006 Alle Features
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